Mit einem ausgeklügelten Konzept aus Sound, Licht, Interieur, Bildern und Botschaften will Fortuna Irgendwo seine Gäste von der Schwere des Lebens befreien – wenigstens für eine Nacht. Ein Besuch im wahrscheinlich fantastischsten, buntesten und verrücktesten Club der Welt.
HEILSAMES AMBIENTE
Alleine das farbenfrohe Interieur und die unzähligen verrückten und verspielten Details versetzen die Gäste in einen angenehmen Rauschzustand.
FARBTHERAPIE
Die Beleuchtung der aus Tausenden blauen und roten Glasmosaiken zusammengesetzten Oktopus-Bar versprüht Tiefenentspannung.
Terra Incognita – unbekanntes Land, steht auf einem Schild, das über dem verglasten Schalter eines altmodischen Kassenhäuschens im Club Fortuna Irgendwo angebracht ist. Wer den Vorraum, in dem sich die Kasse befindet, erreicht, der hat es hineingeschafft, in die „Heilanstalt für Gemüts- und Nervenkranke“, so der Untertitel des Clubs. „Inspiriert hat mich die Idee der ‚Redekur’ von Sigmund Freud, heute als Psychoanalyse oder Psychotherapie bekannt“ erzählt Ardi Goldman, Erfinder und Inhaber des Clubs. „Das Reden und Erinnern, das die beschädigte Seele heilt. Bei uns kann man aufbrechen in die Terra Incognita und das unbekannte Land seiner Seele entdecken.“ Party als Therapie, das hat sich Fortuna Irgendwo auf die Fahnen geschrieben, und die flattern tatsächlich draußen vor dem Club, auf dem Union-Gelände. „Irgendwo streichelt Musik deine Seele“ steht auf einer der Fahnen. Und: „Irgendwo tanzt du nie mehr alleine“. Botschaften entdecken Besucher nicht nur draußen, sondern auch drinnen in jedem Raum, an den Bars, auf den Treppen, in der Toilette. „No one gets here out depressed“ steht auf einer bunten Wand seitlich der Sitzecken im Erdgeschoss des Clubs. Ein großes Versprechen. Doch zurück zum Anfang der Geschichte von Fortuna Irgendwo. Früher galt das Ostend als grau und trist, die Gegend um die stark befahrene Hanauer Landstraße als unbewohnbar, bis Immobilien Entwickler Goldman die raue Gegend entdeckte. Nicht umsonst gilt er in Frankfurt als Pionier und Wegbereiter, ihm hatte es noch nie genügt, einfach nur „in Immobilien“ zu machen. Er baute eine ausgediente Brauerei mitsamt dem Gelände in ein Kulturzentrum um – das heutige Union-Areal – machte aus alten Fabrikhallen Lofts, in denen Kreative leben und arbeiten, holte Agenturen, Restaurants, Clubs auf die Hanauer Landstraße und eröffnete ein Designhotel. Eine rasante Entwicklung nahm ihren Lauf.
HEILANSTALT FÜR GEMÜTS- UND NERVENKRANKE
Auf dem Union-Gelände eröffnete 1999 der King Kamehameha Club. Nach vielen sehr erfolgreichen Jahren und einige Besitzerund Konzeptwechsel später schloss der Musikclub 2013 seine Pforten. Das 1908 erbaute Kesselhaus stand lange Zeit leer. Bis Ardi Goldman beschloss, einen langgehegten Traum zu verwirklichen: Einen analogen Ort zu schaffen, an dem sich Menschen treffen, tanzen, trinken, feiern und flirten. Miteinander reden. Wo es Kunst gibt, Konzerte, Partys und Performance. Aber keine Disco, kein üblicher Club. Eher so was wie der ewige Sommer. Eine Haltung zum Leben und leben lassen. Eine Zuflucht. Einen zivilisierten und kultivierten Ort, den man beschwingt und gut gelaunt wieder verlässt und an dem man immer zurückkehren mag, so beschreibt Goldman seinen Traum. Aber er sagt auch: „Die große Party ist vorbei. Ich habe die Partys in den 80ern erlebt, ich habe die Partys in den 90ern erlebt, ich habe die Partys in den 2000ern erlebt. Die Grundbedingungen haben sich komplett verändert. Der große Feind des Ausgehens sind die sozialen Medien. Früher ging man aus, um jemanden kennenzulernen und den Alltag zu vergessen. Heute läuft alles über Tinder und man lenkt sich mit Netflix ab. Aber die Menschen sehnen sich nach echten, analogen Erlebnissen.“ Goldman ist keiner, der lange zögert und erst recht keiner, der sich Konventionen beugt. Einen Club eröffnen, in Zeiten des Clubsterbens? „Was verschwunden ist, kann auch zurückkommen“, sagt er. Goldman vergleicht das Clubsterben gerne mit dem Sterben des Zirkus. „Die großen Varietés und Zirkusse hatten in den 80er Jahren ihre besten Zeiten hinter sich. Bis Guy Laliberté kam und mit dem Cirque du Soleil den Zirkus erneuerte und die Herzen der Zuschauer eroberte“, so Goldman. „Er hatte lange Jahre Erfahrung als Straßenkünstler. Und er hat Geschichten mitgebracht. Genau das soll mein Club sein, eine Schatzkammer voller Erinnerungen. Geschichten, die ich erlebt habe, die man mir erzählt hat. Bücher und Filme, die mich begleitet haben. Erinnerung an Reisen und Menschen, die mir wichtig waren und sind.“
GUT GEGEN SCHWERMUT
Ein sinnlich-anregender Trip aus Sound, Bildern, Live-Programm und Licht: die Nächte im Fortuna Irgendwo.
ES GEHT UM LEICHTIGKEIT
Im Frühjahr 2018 beginnen die Umbauarbeiten. Die Ideen und Gedanken von Ardi Goldman hat Grafikdesigner Benjamin Knabe in einem Mood Buch zusammen gefasst – ein Wegweiser für Architekt Ivo Nikolov und das gesamte kreative Team, die die Räume des ehemaligen King Kamehameha Clubs in Ardis Sehnsuchtsort verwandeln werden. Das Team ist beauftragt, aus dem geistigen Konglomerat an Ideen und Geschichten einen realen Ort zu erschaffen. Goldmans Erzählungen handeln vom Sommer. Von Wärme, Sonne, Meer und Laissez-faire. Abstrakten Expressionismus, das Licht Portugals, Italiens, der französischen Riviera und Griechenlands inspirieren die Arbeit. Blautöne in verschiedenen Schichten, die Farben des Meeres, spiegeln sich an allen Wänden des Clubs. Auch das Lichtkonzept feiert den Sommer – mit Lampen, die einen besonders hohen UV-Anteil besitzen und die Blau- und Grüntöne an den Wänden zum Funkeln bringen. Sollten Clubs nicht möglichst dunkel sein? „Nicht bei uns“, sagt Goldman. „Hier geht es um Leichtigkeit, um das Lebensgefühl des Sommers, das man in sich trägt.“
Ferienstimmung kommt im Fortuna Irgendwo überall auf. Die beleuchtete Bar im Erdgeschoss ist aus Tausenden blauen und roten Glasmosaiken zusammengesetzt, die in der Mitte einen Oktopus bilden. Die künsterische Intention sei es, sich unter Wasser im Garten eines Kraken zu fühlen“ so der Künstler Michael Dreher, der die Bars und die bildhauerischen Arbeiten im Club entworfen und umgesetzt hat. Im oberen Stockwerk können sich Gäste in der sogenannten Riva-Lounge zurückziehen, die einem eleganten italienischen Motorboot aus den 50er-Jahren nachempfunden ist, dem Rivaboot. Reminiszenzen an unterschiedlichen Epochen, Moden und Kulturtechniken finden sich im ganzen Club. Die mit südpazifischer Stammeskunst dekorierte Tiki-Bar im Dschungelgarten, der auch einen schmalen leuchtend blauen Pool beherbergt, ist stilecht und serviert hochwertige Cocktails. Nichts ist von der Stange, Möbel und Deko sind selbst entworfen und gebaut oder auf Reisen zusammengetragen. Die Sitzmöglichkeiten im Club sind aus groben Holz gezimmert, weiß angestrichen und mit bunten Stoffen bezogen. Eine als Grotte gestaltete Sitzecke lädt zum Knutschen ein, ein kleiner Kiosk verkauft Süßigkeiten und Kondome. Kunst ist überall zu sehen. Fotografien, Grafiken, Wandmalereien.
KURZURLAUB
Pflanzen, Blüten, Südsee-Flair: In Ferienstimmung kommt man an der Tiki-Bar, die im original klassischen Stil konzipiert wurde.
JEDES BILD ERZÄHLT EINE GESCHICHTE
Graffitikünstler Justus Becker hat den Club als riesige Leinwand genutzt und unzählige Geschichten in kleinen und großen Kunstwerken an die Decken und Wände gemalt. „Wir haben nicht irgendwelche Bilder aufgehängt“, beschreibt das künstlerische Team seine Vorgehensweise. „Jedes Bild erzählt eine Geschichte oder verkörpert eine Haltung.“ Es gibt auch Brüche, auch solche, die schwer auszuhalten sind. „So ein herrlicher, sonniger Tag, und ich soll gehen […].“ Ein Zitat aus Sophie Scholls Abschiedsbrief und ihr Konterfei hinter der Champagner-Bar im oberen Stockwerk. Der Clubbesuch als Karthasis?
Das Fortuna Kreativ-Team nennt es eine „Riesige Wunderkammer“. „Der rote Faden ist, dass alles möglich ist. Unser Logo – eine Figur mit Füllhorn, drückt das gut aus. Fortuna Irgendwo steckt voller Geschichten, Zitate, Kontraste, Brüche und Botschaften und vielem, was zum Nachdenken anregt oder einem zum Lachen bringt. Jeder kann sich herausnehmen, was er braucht oder was ihm gefällt. Aber er muss nicht“. Deutlich wird, dass der Club und seine Gäste selbst die Stars sind und nicht, wie es üblich ist, die DJs, mit deren Namen versucht wird, möglichst viel Publikum anzulocken. Musik wird trotzdem eine wichtige Rolle spielen.
„Aber sie ist keiner Sparte verpflichtet“, betont Goldman. „Swing, Rock, Disco, Soul, deutsch, englisch, Chansons, Schlager, französisch, hebräisch, griechisch, junge Musik, alte Musik. Es geht um die Gefühle, die man dabei empfindet.“ Highlight des Clubs ist eine Lichtkunstwand an der Tanzfläche. 2.500 Diamantkappenlampen liegen über einer Strukturleinwand aus unterschiedlichen Materialien. Entwickelt hat die Lichtkunstwand die Lichtdesigner- Legende JoJo Tillmann – eigens für Fortuna Irgendwo. Bespielt werden soll die Wand von Visual Artists, sogenannten VJs, die jeweils ihre ganz eigene Dramaturgie aus Bewegtbildern, Lichtpunkten und visuellen Reizen auf die Wand projizieren, die sich der Stimmung des Abends anpasst – oder sie beeinflusst. Ein schwerer Theatervorhang aus Samt liegt in welliger Form – als sogenannter „Wiener Vorhang“ – auf der Videoleinwand. Rollt er sich nach oben, gilt der Abend als eröffnet. Auf den Tag der Eröffnung von Fortuna Irgendwo haben knapp 100 Künstler, Handwerker, Elektriker, Stuckateure, Schreiner, Maler, Sound- und Lichtgestalter zwei Jahre lang hingearbeitet. Anfang März ist der Club eingerichtet. Der Clubmanager, sein Team aus Barkeepern und Servicekräften, die DJ-Booker, Konzertagenten, die Presseund Marketingmitarbeiter stehen nach monatelanger Vorbereitung in den Startlöchern. Plakate, Einladungen und Programmflyer sind gedruckt, die Werbung läuft auf Hochtouren. Dann kam Corona. Ardi Goldmans wahr gewordenes Kopfkino, Heilanstalt, Schatz- und Wunderkammer wartet nun darauf, am 1. April 2022 die Tore zu öffnen. „Bei mir muss man sich anfassen und küssen können. Ich bin Philosoph der Hoffnung und Realist der Straße, mein großer Wunsch ist, dass die Gäste den Club mit einer kindlichen Neugier betreten. Dass sie eintauchen und wenn sie heimgehen, sagen: Oh, das will ich wieder haben! Ich will mehr entdecken. Mehr erleben. Und ich hoffe, was immer sie entdecken, dass es ihnen ein Lächeln ins Gesicht und Wärme ins Herz zaubert.“