MUSEUM AUF DER STRASSE

Case Maclaim aka Andreas von Chrzanowski gehört zu den Gründungsmitgliedern der Maclaim-Crew, eine Graffiti- Künstlergruppe aus der ehemaligen DDR, die mit einer Mischung aus monumentalen Graffiti-Schriftzügen und Fotorealismus internationalen Durchbruch erlangte. Der Frankfurter, der in Thüringen aufgewachsen ist, gilt als Pionier des Fotorealismus in der Straßenkunst. Vor allem mit seiner Darstellung von überlagerten Händen ist Case Maclaim weltweit bekannt geworden. Mit den Überlappungen der Hände, sagt der Künstler, wolle er Bewegung andeuten und das Bild selbst in ein Bewegtbild verwandeln. Hände seien für ihn „ein Symbol für die Kraft der Bewegung“.

CASE MACLAIM
DER PHOTOREALISMUS PIONIER (*1979)

FLIEGENDE PFERDE, LAUFENDE HÄNDE

In der Station Ostendstraße „laufen“ 33 Hände in Fahrtrichtung auf einer Wand, die gegenüber einem 247 Meter langen Bahnsteig liegt. 2016 sperrte die Deutsche Bahn den S-Bahn-Tunnel wegen Renovierungsarbeiten und beauftragte Case Maclaim mit der Gestaltung der Stationswände. 6.600 m2 in sechs Wochen. „Das war ein 24-Stunden- Job“ sagt Case. Genauso bewegend gestaltete sich seine Arbeit kurz vorher an der Station Ostbahnhof. Hier orientierte sich der Künstler an die Nähe zum Zoo und bemalte die Seekieferplatten, die am Zugang zu den Gleisen befestigt sind, mit fliegenden Pferden – „Zugpferde“ nennt sie Case. Jetzt ist die Wandverkleidung entfernt und eingelagert worden – das Empfangsgebäude des Ostbahnhofs wird abgerissen und neu gebaut. Die fliegenden Pferde seien sehr gut bei den Anwohnern angekommen, erzählt Case. „Die Leute fragen, wann die Pferde wieder an die Wände angebracht werden und fordern das regelrecht ein. Das ist ein interessantes Phänomen“, sagt er. Seine signifikanten Kunstwerke hat Case schon in der ganzen Welt hinterlassen, zuletzt in den USA, Milwaukee, wo er ein gigantisches Mural – so werden die Wandmalereien der Street-Art bezeichnet – auf ein historisches Bürogebäude gesprüht und gemalt hat.

VOM OSTEN IN DEN OSTEN

In Ostdeutschland aufgewachsen, begann Case Maclaim 1995 mit der Malerei. Als Mitglied der Künstlergruppe Maclaim-Crew machte er ab 2000 mit seinen fotorealistischen Arbeiten international Furore. „Damals haben nur sehr wenige, höchstens eine Handvoll, fotorealistisch mit der Sprühdose gearbeitet“, erzählt er. „Damit haben wir quasi eine neue Richtung eröffnet, in die auch sehr viele sehr erfolgreich gelaufen sind – was aber insgesamt eine gute Entwicklung ist.“ Seit über zehn Jahren lebt der studierte Restaurateur in Frankfurt am Main. Seine letzte Arbeit auf der Eastside ist das St. Patrick Mural auf der Rückseite des Irish Pub in der Hanauer Landstraße, das den irischen Nationalheiligen in gewohnter Case-Maclaim-Manier zeigt.

Mit dem Ostend ist der Wahlfrankfurter ganz besonders verbunden. In der Streetart Schmiede Naxoshalle hat Case Maclaim sein Studio, dort ist auch Treffpunkt der Frankfurter Graffiti-Szene und die Heimat des Jugendladen Bornheims. „Die Naxoshalle hat eine besondere Bedeutung für Graffiti in Frankfurt“, sagt Case. „Mit Street-Art-Führungen, Workshops und Ausstellungen werden hier wichtige Impulse gesetzt. Jugendliche können sich hier ausprobieren und mit verschiedenen Mal- und Sprühtechniken experimentieren.“

KUNST KICKT
KLARK KENT –DER GRAFFITI WRITER (*1973)

1989 schwappte die erste Graffiti Welle nach Frankfurt. „Ich bin im Ben-Gurion-Ring in Bonames aufgewachsen. Dort waren viele Leute auf Drogen. Graffiti war eine Option, um da nicht mitzumachen“, sagt Klark. Wer auf Züge klettert, sich von Dächern abseilt und in U-Bahn-Schächte eindringt, erlebt reichlich Abenteuer und die Belohnung, seinen Namen illegal auf öffentlichem Eigentum auszustellen, kann ein größerer Kick sein, als Heroin zu nehmen. Illegal sprüht der Frankfurter schon lange nicht mehr. Er arbeitet frei oder übernimmt Auftragsarbeiten, wie zum Beispiel an der Eastside am Mainufer gegenüber der Europäischen Zentralbank. „Der Besitzer der mobilen Bar dort, fragte mich, ob ich was machen kann“, erzählt Klark. „Was er vorher hatte dort sprayen lassen, wurde zerstört.“ Das sei, so Klark, eine durchaus übliche Praxis in der Szene, vor allem, wenn man ein „Toy“ ist, also ein Anfänger. „Toys werden in der Regel übermalt“, erzählt er. Nicht so Kent: Sein Graffiti am Mainufer, das seinen Namenszug darstellt, bleibt bis heute unangetastet – es ist schließlich das Werk von einem der bekanntesten Graffiti-Künstler Deutschlands.

URFORM DES GRAFFITIS:
WRITING Die einzigartige Signatur eines Stylewriters zielt auf größtmögliche Verbreitung ab.

Sprühdose, Pinsel und Airbrush- Pistole sind das Werkzeug von COR alias Justus Becker. Damit entstehen seine großformatigen Murals, die er weltweit hinterlässt. In Frankfurt am Main finden sich unzählige seiner Werke, wie zum Beispiel an der Friedensbrücke, am Ratswegkreisel, an der Unterführung zwischen Woogstraße und Ginnheimer Wäldchen – und am Molenkopf, der Hafeninsel auf der Eastside. Das 20 mal 6 Meter große Wandbild im Osthafen sah vor einigen Jahren noch ganz anders aus. 2016 malte COR, zusammen mit Oguz Sen, das Bild des auf der Flucht ertrunkenen syrischen Jungen Alan Kurdi auf die Mauer des Molenkopfs. Ein paar Monate später wurde es von Unbekannten fast vollständig mit Farbe überstrichen, und die Botschaft „Grenzen retten Leben“ hinterlassen. „Danach haben wir uns entschieden, es zu übermalen und den Jungen als lebendes, fröhliches Wesen zu zeigen“, sagt COR. Mit dem Bild des syrischen Jungen wollte COR die Leute dazu bewegen, sich intensiver damit zu befassen. „In den Medien rauscht das sonst einfach so vorbei“, sagt er. „Wenn man es riesengroß am Main sieht, wird es eher wahrgenommen.“

COR – DER PORTRÄTIST (*1978)

HERZENSSACHE

Mit zehn Jahren musste sich COR, der ursprünglich aus Hamburg stammt, einer größeren Herz-Operation unterziehen. „Danach habe ich angefangen, wie ein Besessener zu zeichnen“, erzählt er. Etwas später entdeckt er seine Faszination für Graffiti, beginnt zu sprühen und nennt sich fortan COR, die lateinische Bezeichnung für Herz. Er reist um die ganze Welt, malt, sprüht und sammelt Inspirationen Seine Spezialität werden großformatige Gesichter, besonders von Frauen, die COR im fotorealistischen Stil mit abstrakten Farben und Formen verfremdet. „Graffiti- Kunst hat eine unglaubliche Entwicklung seit den 1980er-Jahren durchlaufen“, sagt er. „Es ist, wie damals der Rock’n’Roll, in der Gesellschaft angekommen“. Seit Jahren setzt sich der Künstler für eine bessere Akzeptanz und für legale Graffiti-Flächen ein. „Bis ungefähr 2005 oder 2006 galt in Frankfurt noch die Null-Toleranz-Politik“, so COR. „In vielen Gesprächen mit der Stadt haben wir uns legale Flächen erkämpft, die wir bespielen können.“ Doch das hat auch Nachteile. Illegale Sprayer und etablierte Auftragskünstler machen sich die Flächen streitig, keine Autowerbung kommt ohne Graffiti aus. „Das Ganze hat sich ziemlich kommerzialisiert“, sagt COR. Dennoch macht er sich für die Graffiti-Kunst weiter stark und beteiligt sich an sozialen Projekten, wo sich Jugendliche mit der Spraydose austoben können. Wie sein Kollege Case arbeitet der Frankfurter in einem Studio in der Naxoshalle im Ostend. Doch jetzt fliegt COR erst einmal für ein freies Projekt nach Ruanda.

MAHNMAL AM MOLENKOPF Das Mural ist dem syrischen Jungen Alan Kurdi gewidmet, der 2016 auf der Flucht im Meer ertrank.