UNVERBIEGBAR

Kein Stadtteil hat sich in den letzten Jahren so extrem gewandelt wie der Osten. Doch eine bleibt, wie sie ist: die Rindswurst von Gref-Völsings.

Herr der Räucherkammer ist der Fleischergeselle Christian Heinziger, zwei weitere Gesellen und zwei Metzgermeister kümmern sich um die Produktion, nach der stadtbekannten Rindswurst stehen vor allem Männer Schlange. Aber eigentlich wird Gref-Völsings von starken Frauen regiert. Friederike Satvary schüttelt den Kopf. Die Gesch.ftsführerin, die das Traditionsunternehmen zusammen mit ihrer Tochter leitet, hört das nicht gerne: Ja, es stimme schon, dass der Betrieb seit dem Tod ihrer Urgroßeltern ausschließlich von den weiblichen Mitgliedern der Familie geführt wird. Aber ohne Rat und Hilfe der Männer an ihrer Seite wäre es nicht gegangen. Das Fleischerhandwerk sei eine Männerdomäne und vor allem harte körperliche Arbeit, sagt die Inhaberin. Friederike Satvary gehört zum Ostend wie die Rindswurst zu Gref-Völsings. Sie ist hier aufgewachsen, hat ihre Kinder auf der „Hanauer“ großgezogen und 1991 mit ihrer Schwester den Betrieb von der Mutter übernommen. Seit 2001 ist sie die alleinige Gesch.ftsführerin, ihre Töchter Anna und Franziska kümmern sich um den Vertrieb, zusammen gehören sie bereits zur fünften Generation der stadtbekannten Metzger-Dynastie.

KONSEQUENT GUTES FLEISCH

1894 eröffneten Wilhelmina Völsing und Karl Gref die Metzgerei Gref-Völsings in der Frankfurter Altstadt. Das Ehepaar setzte von Anfang an auf gute Fleischqualität. Noch bis in die 60er-Jahre suchte Karl Gref das Schlachtvieh persönlich auf den Höfen aus. In den 20er-Jahren baute die Familie auf dem neu erschlossenen Osthafengelände das Wohn- und Geschäftshaus in der Hanauer Landstraße. Revolutionär war damals die Automatisierung des Betriebs, wie der Einsatz einer Klippmaschine. Vorher wurde die Wurst per Hand mit der Kordel abgebunden.

SOLIDES HANDWERK

Die Grundlagen haben sich nicht verändert. Noch immer wird bei Gref-Völsings auf die Herkunft des Fleisches größter Wert gelegt. Es stammt von einer bäuerlichen Erzeugergemeinschaft aus Schwäbisch Hall, die ihre Tiere artgerecht hält, und wird in der eigenen Küche verarbeitet. Von der Zerteilung über die Zubereitung der eigenen Gewürzmischung bis zum Räuchern wird alles im Betrieb gemacht. Die Fangemeinde ist groß. Schon um 7 Uhr morgens gehen die ersten Würste über die Ladentheke, zur Mittagszeit muss man sich anstellen. Täglich werden bis zu 1.000 Rindswürte verkauft und dazu rund 6.000 an Geschäfte, Lokale und Tankstellen ausgeliefert. „Früher haben wir hier fast nur heiße Wurst verkauft. Unsere Kunden waren vor allem die Arbeiter aus der Großmarkthalle und Lkw-Fahrer. Sogar die Straßenbahn hielt direkt vor dem Laden an, der Fahrer sprang heraus und holte sich eine Rindswurst auf die Hand“, erinnert sich die Chefin. An Stelle der Großmarkthalle glitzert heute die Europäische Zentralbank. Unter die Blaumänner haben sich Banker und Büromenschen aus dem näheren Umfeld gemischt. Das Sortiment wurde erweitert, jetzt gibt es auch Weißwurst, Frankfurter Würstchen, Krakauer, Gelbwurst und einen wechselnden Mittagstisch mit gekochten Gerichten. „Einfach nur heiße Wurst, Bouillon, Wasserweck, so wie früher, damit gibt sich niemand mehr zufrieden“, sagt Friederike Satvary, die Ansprüche sind gestiegen“ – und sie erzählt die Geschichte von der Kundin, die ihre Rindswurst auf einem Porzellanteller mit Besteck serviert bekommen wollte. Soweit geht man bei Gref-Völsings nun doch nicht. Die Gäste haben die Wahl zwischen auf die Hand und Papptellern.

DIE WURST IST KULT

Gref-Völsings ist das, was man Kult nennt. Was ist das Geheimnis? Friederike Satvary lacht. „Keines. Wir machen einfach seit über 100 Jahren das Gleiche.“ Das war nicht immer einfach. In den 90er-Jahren kam die BSE-Krise. Der Umsatz ging zurück. Heute essen immer mehr Menschen weniger Fleisch, vegane Ernährung ist ein Trend. Die Kunden sind kritisch geworden, sie wollen wissen, wo das Fleisch herkommt und was drin ist. „Wir bemühen uns um Qualität“, sagt Friederike Satvary, „es steht natürlich nicht dauernd jemand hinter uns, der alles kontrolliert. Hier arbeiten Menschen, die noch ein echtes Handwerk ausüben.“ Dafür wird es immer schwieriger, Fachpersonal zu bekommen.

Wer will schon Metzgerwerden?

Mauro Scarpello zu Beispiel. Er macht bei Gref-Völsings eine Lehre zum Metzgergesellen – und ist der Ehemann der Tochter Franziska. Für die Ausbildung hat er sein Jurastudium aufgegeben. Schon früher hat er im Betrieb mitgearbeitet, jetzt gehört er zum Familienunternehmen dazu. Mauro und Franziska haben gerade das zweite Kind bekommen, das Baby turnt auf den Armen der Großmutter herum, während sich das Paar um die Buchhaltung, den Vertrieb und die Produktion kümmert. Seit neuestem gibt es einen Online-Shop. „Weil die Nachfrage so groß war“, sagt Mauro Scarpello. Es wäre nicht so, dass man Neuem nicht aufgeschlossen wäre. „Wir schauen, was auf dem Markt los ist, und dann überlegen wir, ob wir mitmachen“, erzählt er. Grillen boomt. Auch im Ostend sieht man kaum noch einen Balkon ohne Kugel – grill. Früher kamen am Freitag die Hausfrauen, die den Braten für die ganze Familie einkauften und Fett für die Suppe. Heute kommen junge Männer, die sich mit Grillfleisch fürs Wochenende eindecken. Immer wieder hört das junge Paar, sie sollen doch den Betrieb vergrößern und Filialen eröffnen. Doch das vermeintlich große Geld reizt die beiden nicht. „Jede Generation hat die Aufgabe, die Tradition fortzuführen“, sagt Mauro Scarpello. „Wir wissen, was wir können, und das ist die Rindswurst.“

KONTAKT
Hanauer Landstraße 132,
60314 Frankfurt am Main
Telefon: 069 433530
www.gref-voelsings.de